Semiramis – ein stadtweit integratives Projekt, bei dem eine bunte Mischung aus über 80 BürgerInnen – Alte und Junge, In- und Ausländer, Behinderte und Nichtbehinderte, Menschen mit und ohne festen Wohnsitz – als Experten gemeinsam mit Künstlern ein Theaterstück entwickelten. Die Ursprünglichkeit, in der Semiramis aufwächst, ihr ungestümer Kontakt mit der Gesellschaft, ihre Lust an politischer Macht und am Ausprobieren männlicher Identität sowie letztlich der Verrat durch ihr „eigen Fleisch und Blut“ – das sind Motive, die in der szenischen Auseinandersetzung eine Rolle spielten.


Frau und Macht- Wege und Irrwege der Emanzipation im Spiegel vielfältiger Lebenswelten

Seit zwei Jahrtausenden, von Ktesias bis Enzensberger, beschäftigen sich Schriftsteller mit der sagenhaften Semiramis. Selten verband eine Figur so sehr das Mythische und das Banale, die hohe Politik und einfache menschliche Bedürfnisse. Besonders die Motive der weltfernen Kindheit, der ungestümen Eroberung von Macht, das Spiel einer Frau mit Männerrollen und schließlich der Bruch mit der Welt der grenzenlosen Karriere fasziniert bis heute.

Semiramis war die mythische Herrscherin Assyriens, zur Hälfte irdischer, zur Hälfte göttlicher Abstammung. Sie wurde der Sage nach von Tauben aufgezogen. Berühmt wurde sie als legendäre Feldherrin in Männerkleidung bei der Eroberung von Babylon. Nach dem Tod ihres zweiten Mannes Schamschi-Adad V., der 823 v.Chr. zum „König der Welt“ gekrönt worden war, übernahm sie die Herrschaft, errichtete gewaltige Bauten, führte Kriege bis nach Ägypten und Indien und erreichte selbst den Status einer Göttin. Erst die heftige Auseinandersetzung mit dem inzwischen volljährigen Sohn beendet ihre Karriere. Nach dem versuchten Muttermord zieht sie sich in die Wälder zurück und endet, wo sie begann: bei den Tauben.

In einer Werkstattphase wurde zunächst am Stoff und dann an seinen Auslegungen in der Literatur gearbeitet. Zugleich wurden intensive Kontakte zu unterschiedlichen Gruppen der Bevölkerung aufgebaut: Menschen mit und ohne Behinderungen, mit und ohne festen Wohnsitz, aus unterschiedlichen Kulturen, verschiedenen Alters, zu Künstlern aus Theater, Musik und Bildender Kunst. Nun begann auch die Auseinandersetzung der Teilnehmer mit dem Stoff. Zeitgleich fanden offene Improvisationen statt, mit denen erste Annäherungen an den Gesamtinhalt sichtbar wurden. Ergänzt wurde diese Arbeit durch das Anlegen eines Scripts – einer erste Fassung.

Spielort war die Wartburg, eine ehemalige Diskothek. Und zwar mit allen ihren Räumen, den Treppen und den Gängen. „Fremdenführer/innen“ lotsten das Publikum. So wie Semiramis Grenzen überwindet, sich in neue Zusammenhänge begibt und am Ende sich wieder am Ursprung befindet, so waren auch die Zuschauer in Bewegung. Die Fragen nach dem Wie wurden erlebbar und bewusst. Die stellenweise verweigerte Distanz zwischen Spieler und Zuschauer ermöglichte einen ganz neuen Erlebnischarakter. Bürger spielten ihr Thema und damit konnten sich die Zuschauer identifizieren.